Stuttgart, 15.12.2025 (lifePR) – Am 12. Dezember 2025 zeichnete die Roman, Marga und Mareille Sobek Stiftung in der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Stuttgart zwei Wissenschaftler aus, die mit ihren wegweisenden Arbeiten zur Rolle fehlgeleiteter Immunzellen bei Multipler Sklerose (MS) Hoffnung auf neue Therapien machen, vor allem für die fortschreitende Form der MS, für die trotz großer Fortschritte noch keine optimale Therapie zu Verfügung steht. Der mit 100.000 Euro dotierte Sobek Forschungspreis ging an den französischen Neuroimmunologen Prof. Dr. Dr. Roland Liblau aus Toulouse. Der Sobek Preis gilt als höchst dotierter Preis im Bereich der MS-Grundlagenforschung in Europa und Nordamerika, möglicherweise sogar weltweit. Der mit 15.000 Euro dotierte Sobek Nachwuchspreis ging an die in Zürich tätige deutsche Forscherin Dr. Sarah Mundt.

Mit der Preisverleihung, die unter der Schirmherrschaft des Ministeriums für Wissenschaft, Forschung und Kunst in Baden-Württemberg steht, würdigte die Sobek Stiftung erneut in Zusammenarbeit mit AMSEL, Aktion Multiple Sklerose Erkrankter, Landesverband der DMSG in Baden-Württemberg e.V., und der Deutschen Multiple Sklerose Gesellschaft (DMSG) exzellente Forschungsleistungen, die ein tieferes Verständnis der MS ermöglichen und neue Ansatzpunkte für MS-Therapien eröffnen.

Forschungspreis 2025: Wie fehlgeleitete T-Zellen das Gehirn angreifen

Prof. Dr. Dr. Roland Liblau (*1957) erhielt den Sobek Forschungspreis 2025 für seine wissenschaftlichen Beiträge zu den autoimmunen T-Lymphozyten und deren fundamentaler Rolle bei MS sowie anderen neurologischen Autoimmunerkrankungen. Professor Liblau zählt zu den international führenden ärztlichen Wissenschaftlern auf dem Gebiet der Neuroimmunologie. Er studierte Medizin in seiner Geburtsstadt Paris, absolvierte dort seine neurologische Facharztausbildung sowie eine immunologische Zusatzausbildung am Institut Pasteur. Von 1991 bis 1994 forschte er als Postdoktorand an der Stanford University in Kalifornien (USA), bevor er am traditionsreichen Hôpital de la Salpêtrière in Paris eine eigene neuroimmunologische Arbeitsgruppe aufbaute. Seit 2002 ist Liblau Professor für Klinische Immunologie in Toulouse und leitet dort eines der führenden Neuroimmunologie-Labore Europas; seit 2021 steht er einem Forscherteam am Toulouse Institute for Infectious and Inflammatory Diseases (INFINITY) vor.

Multiple Sklerose ist eine chronisch-entzündliche Erkrankung des zentralen Nervensystems, bei der sich fehlprogrammierte körpereigene Abwehr- bzw. Immunzellen, die den Körper eigentlich vor Krankheitserregern schützen sollten, gegen ihn richten. Im Zentrum der Forschungsarbeiten von Prof. Liblau steht eine bestimmte Gruppe von Immunzellen: die autoreaktiven T-Lymphozyten, insbesondere CD8+-T-Zellen, auch T-Killerzellen genannt. Diese Zellen patrouillieren normalerweise wie eine hochspezialisierte „Polizei“ durch den Körper und eliminieren infizierte Zellen. Bei MS richten sie sich jedoch gegen gesunde körpereigene Strukturen, darunter die Myelinscheiden, also die schützende Isolierung der Nervenfasern. Professor Liblau gehörte zu den Ersten, die gezeigt haben, dass bei MS nicht nur CD4+-„Helfer“-T-Zellen, sondern auch CD8+-Zellen maßgeblich an Entzündungen und Gewebeschädigungen im zentralen Nervensystem (ZNS) beteiligt sind und speziell im Gehirn einen „entzündlichen Schwelbrand“ auslösen und aufrecht erhalten. Diese Art von Entzündungen sind vor allem für ein Schub-unabhängiges, langsames Fortschreiten der MS verantwortlich, während sich die meisten MS-Therapien bislang vor allem gegen schubabhängige akute Verschlechterungen richten.

Das heißt: Auch wenn im Blut eines Menschen mit MS kaum noch aktivierte, auf Angriff eingestellte Immunzellen nachweisbar sind und sich auch keine Entzündungsherde im MRT zeigen, können sich im Gehirn und Rückenmark dennoch kleine Gruppen von „aufmunitionierten“ Zellen festsetzen. Diese gewebsständigen Zellen lassen sich mit herkömmlichen Therapien nur schwer erreichen und tragen wesentlich dazu bei, dass Entzündungen und Nervenschädigung bei MS trotz bestmöglicher Behandlung fortschreiten.

Professor Liblaus Arbeiten haben gezeigt, dass die gewebsständigen T-Zellen die Gehirnzellen in ihrer Umgebung schädigen oder zerstören. Dabei kooperieren die gewebsständigen CD8+ T Zellen mit gewebsständigen CD4+ T Zellen und anderen gewebsständigen Immunzellen, einschließlich B-Zellen. Wahrscheinlich sind diese gewebsständigen „Tissue-resident memory cells“ hauptverantwortlich dafür, dass bei der MS nicht nur Myelin zerstört wird, sondern auch Axone und Nervenzellen selbst geschädigt werden. Die Forschungsergebnisse wurden in führenden Fachzeitschriften veröffentlicht und haben weltweit große Resonanz gefunden. Diese neu entdeckten Schädigungsmechanismen liefern konkrete Angriffspunkte für zukünftige Therapien, die auf diese gewebsständigen T-Zellen und ihre Aktivierung zielen.

„Als Direktor eines großen interdisziplinären Forschungszentrums hat Professor Liblau eine Herkulesaufgabe übernommen. Bei seinen wissenschaftlichen Forschungen hat er immer auch über den Tellerrand der MS hinausgeschaut. Dieser erweiterte Blick hat vielversprechende neue Ansatzpunkte für die Therapie der MS ermöglicht“, so Laudator Prof. Dr. Reinhard Hohlfeld, Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats der Sobek Stiftung.

Nachwuchspreis 2025: Wie Fresszellen und Botenstoffe Nerven schützen oder schädigen

Mit dem Sobek Nachwuchspreis 2025 würdigte die Sobek Stiftung Dr. Sarah Mundt (*1986) für ihre Forschung zu den verschiedenen Rollen von Fresszellen und zu neuroimmunen Wechselwirkungen im Zentralnervensystem, die helfen kann, MS-Therapien zielgenauer zu entwickeln. Dr. Sarah Mundt ist Forschungsgruppenleiterin in der Neurologischen Klinik am Universitätsspital Zürich. Nach ihrem Bachelor- und Masterstudium in Life Sciences an der Universität Konstanz wurde sie dort im Fach Immunologie mit summa cum laude promoviert. Ihre Arbeiten zur Rolle des Immunoproteasoms bei Entzündungsreaktionen im zentralen Nervensystem, der sogenannten Neuroinflammation, wurden vielfach zitiert. 2016 wechselte sie an das Institut für Experimentelle Immunologie Zürich und baute dort ab 2020 eine eigene Forschungsgruppe auf.

Dr. Mundts Forschung widmet sich vor allem der Frage, wie Immunzellen mit dem Gehirn „sprechen“ und warum diese Kommunikation bei MS aus dem Gleichgewicht gerät. In einer vielbeachteten Studie konnte sie zeigen, dass dendritische Zellen – eine Art „Spürhunde“ des Immunsystems – in den Hirnhäuten Myelinbestandteile aufnehmen und sie dem Immunsystem präsentieren. Dadurch ermöglichen sie es fehlgeleiteten T-Zellen, in das ansonsten gut geschützte Gehirngewebe einzudringen und dort eine Entzündung zu entfachen.

In neueren Arbeiten beschäftigt sich Dr. Mundt mit Botenstoffen und Fresszellen, die das Nervengewebe gleichermaßen schützen wie schädigen können. In einer 2023 veröffentlichten Studie zeigte sie mit ihrem Team, dass der pro-entzündliche Botenstoff, das Zytokin Interleukin-12 im Gehirn eine unerwartete Schutzfunktion haben kann und deswegen Medikamente, die IL-12 blockieren, möglicherweise nicht den erhofften Erfolg bringen. Bei experimenteller MS konnte sie zusammen mit dem Forschungsteam nachweisen, dass insbesondere aus dem Blut einwandernde Monozyten und ihre „Fresszell“-Nachkommen die Hauptquelle schädlicher Sauerstoffradikale sind – und nicht, wie lange vermutet, die im Gehirn ansässigen Mikrogliazellen.

Mundt und ihr Team versuchen zu verstehen, welche Immunzellen im Gehirn Freund sind und welche Feind. Ihre Erkenntnisse können helfen, Therapien zielgenauer zu entwickeln. Anstatt das Immunsystem insgesamt zu bremsen, könnten zukünftig bestimmte „Auslöser“-Zellen oder Signalwege gezielt blockiert und gleichzeitig schützende Reaktionen verstärkt werden. „Dr. Mundt ist ein inspirierendes Vorbild für den neuroimmunologischen Nachwuchs“, betonte Laudator Prof. Dr. Klaus V. Toyka, Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats der Sobek Stiftung.