Berlin, 07.11.2024 (lifePR) – Nach 37 Dienstjahren und zehn Jahren als Vorstandsvorsitzender der Stiftung Unionhilfswerk Berlin scheidet Norbert Prochnow hauptamtlich aus dem Unionhilfswerk aus. Über sein Leben und insbesondere sein Wirken in einem der größten sozialen Träger der Stadt hat er mit Alexander Dieck, stellvertretender Chefredakteur unseres "Wir für Berlin"-Magazins, gesprochen.

Das Leben ist eine Abfolge von Übergängen in die jeweils nächste Episode. Gäbe es keine Übergänge, würden wir uns nicht weiterentwickeln. Auch Sie haben schon so manchen Übergang gemeistert. Können Sie sich beispielsweise noch an Ihre Einschulung erinnern?

Oh, meine Einschulung… also ich sehe Bilder vor mir: eine große Schultüte, Igel-Mecki-Frisur und später diese schicken gelben Erstklässler-Mützen für die damals noch wenigen Autofahrer. Viel mehr fällt mir dazu nicht ein, aber ich habe mir darüber auch seit ungefähr 60 Jahren keine Gedanken mehr gemacht. (lacht)

Dann kamen Ausbildung und Studium – Ihr Übergang ins Berufsleben, Ihr Start beim Unionhilfswerk. Wenn Sie heute zurückschauen, wie empfinden Sie Ihren Weg vom Betreuer/Sozialarbeiter mit Psychologiestudium hin zum Vorstandsvorsitzenden?

Naja, ein bunter Weg mit unterschiedlichen Etappen. Ich hatte in meinem Psychologiestudium den Schwerpunkt auf Erwachsenenpsychiatrie gelegt und fand es konsequent, auch in diesem Bereich zu arbeiten. Ich wurde eingestellt, um mich um die berufliche Rehabilitation der Menschen zu kümmern, die in einem Wohnprojekt lebten. Damit wurde damals bereits das Saatkorn für spätere Projekte im Unionhilfswerk gelegt, die wir Jahre später auf den Weg gebracht haben. Ich habe den Verein Theta Wedding e.V., den Vorgänger der USE, kennengelernt und später die USE mitgegründet. Der nächste Schritt war die Position des Fachbereichsleiters, wo ich viel gestalten konnte, nah an der Basis. In der Geschäftsführung ist man ja eher eine „eierlegende Wollmilchsau“, die sich um alles kümmern muss und dabei auch Themen hat, die weniger lieb sind als das Fachliche. Ich muss aber sagen, mir haben auch Bereiche wie die Immobiliensuche viel Spaß gemacht, auch wenn das weniger mit Psychologie zu tun hat. Als Geschäftsführer bei einem sozialen Träger hat man ein unglaublich buntes Aufgabenspektrum. Langweilig war es nie.

37 Jahre beim Unionhilfswerk stehen zu Buche – was waren die wichtigen und herausragenden Meilensteine in dieser Zeit?

Die Tatsache, dass wir die Projekte des Theta Wedding e.V. in die USE überführen und damit den Grundstein für die Werkstatt legen konnten, die zum Kern aller Aktivitäten zur beruflichen Förderung von psychisch kranken Menschen wurde – das war für mich absolut besonders. Auch die Gründung der Stiftung, die Holding-Struktur, war bedeutend für mich. Dass der Verein die Größe hatte zu sagen: Das passt nicht mehr zu unserer Organisationsstruktur, und wir gründen eine Unternehmensträgerstiftung – das war großartig und zukunftsweisend. Als dritten Meilenstein würde ich dieses Haus hier nennen. Es ist uns nach vielen „Irrungen und Wirrungen“ gelungen, den Dienstleistungs.Campus in der Schwiebusser Straße zu bauen und seiner Bestimmung zu übergeben.

Wenn man auf die Erfolge schaut, vergisst man die Niederlagen nicht. Was waren die nicht so schönen Momente, an denen Sie gewachsen sind?

Naja, es gibt Projekte, in die steckt man Zeit, aber sie realisieren sich nicht. Wir haben uns ja längere Zeit bemüht, in Brandenburg Dinge auf den Weg zu bringen. Im ehemaligen Mustergut der Familie Borsig in Groß Behnitz wollten wir einmal Wohnen und Arbeiten für Menschen mit Behinderung einrichten. Das hat aus verschiedenen Gründen nicht funktioniert. Das fand ich schon sehr schade. Ein Thema, das mich immer wieder ärgert, ist, dass das Land Berlin eigene Träger auf den Weg bringt, anstatt zu fragen: Lieber Staat, was sind Deine Kernaufgaben, und kümmer’ Dich darum vernünftig, da hast Du mehr als genug zu tun. Musst Du immer in Konkurrenz zur Trägerschaft treten? Wir haben erfolgreich große Gemeinschaftsunterkünfte für geflüchtete Menschen eröffnet und betreut und waren anerkannt. Dann gehen wir in die Ausschreibung, und ein Anbieter liegt ein paar Cent darunter – dann verlieren wir, und das Ganze fängt wieder von vorne an. Oder aber der landeseigene Betrieb sagt: “Für mich gelten keine Ausschreibungsbedingungen. Wenn ich das haben will, nehme ich es mir einfach, grob gesagt.” Das finde ich extrem ärgerlich und würde es als Niederlage verbuchen.

Sie haben vier Jahrzehnte Sozialpolitik in der Stadt miterlebt und mitgestaltet. Wenn Sie einen Wunsch frei hätten: Was würden Sie sich für die Branche wünschen?

Das kann ich in einem kurzen Satz zusammenfassen: Zurück zur Partnerschaft! Das Land sollte uns nicht immer misstrauisch beäugen. Wir haben in vielen Diskussionen den Eindruck, das Land weiß: „Allein können wir es nicht.“ Aber es sieht uns nicht als gleichwertige Gesprächs- und Vertragspartner. Man könnte doch sagen: Schaut, wo eure Expertise ist, und kümmert euch um das, was ihr gut könnt. Wir verständigen uns dann auf Qualitätskontrollen. Vertrauen sollte aufgrund der langjährigen Zusammenarbeit die Basis des Miteinanders sein. Deswegen: Zurück zur Partnerschaft!

Wäre das Leben Musik – welcher Song würde Ihnen für Ihre Zeit beim Unionhilfswerk einfallen?

Es sind eher zwei Lieder, die mich musikalisch nachhaltig beim Unionhilfswerk begleitet haben. Das ist einmal „Ein Hoch auf uns!“ von Andreas Bourani, den wir beim 70. Unionhilfswerk-Jubiläum angestimmt haben. Und dann der wirklich berührende UHW-Song auf der Bühne zu unserem 75. Geburtstag: „Erlebe das Leuchten“. Das bleibt unvergessen.

Mit Ihrem reichen Erfahrungsschatz: Was würden Sie jungen Berufsanfänger*innen mit auf den Weg geben?

Schaut euch vieles an, lernt unterschiedliche Träger und ihre Konzepte kennen. Bringt Neuerungen, die ihr an der Uni gelernt habt, mit ein, seien es technische oder inhaltliche Ideen. Aber seid auch ein bisschen demütig, denn – ihr habt bisher nur Theorie gelernt! Jetzt kommt das richtige Leben, mit allem, was dazugehört, vor allem mit den Menschen, um die ihr euch kümmert, mit denen ihr zusammenarbeitet, und auch denen, von denen ihr Geld für Projekte wollt. Freut euch darauf, aber denkt nicht, dass ihr schon alles wisst.

Worauf freuen Sie sich am meisten nach dem 1. Oktober, oder fremdeln Sie immer noch mit dem Datum?

Nein, eigentlich gar nicht. Ich freue mich auf deutlich mehr Zeit. Es hat auch etwas Befreiendes. Meine Frau und ich haben genug Pläne. Wir bilden gerade unseren neuen Jagdhund aus, haben zwei Grundstücke und ein Jagdrevier, die wir pflegen müssen. Es gibt also genug zu tun.

Wie stellen wir uns einen typischen Tagesablauf von Norbert Prochnow im Ruhestand vor?

Einen typischen Tagesablauf wird es nicht geben. Aber wenn es um Sport und Bewegung geht, kenne ich mich: Eine große 10-Kilometer-Runde mit dem Hund, Radfahren oder Schwimmen – das wird eher am Vormittag sein. Zur Jagd geht man morgens und abends. Manchmal kochen wir mittags, manchmal später. Das wird meinen Tag bestimmen, aber ein striktes Muster wird es nicht geben. Auch das ehrenamtliche Engagement bleibt.

Würden Sie zum Telefon greifen, wenn Sie einen Tipp für Ihre Nachfolger hätten? Oder können Sie loslassen und sagen: Ach, ich lasse die Neuen machen?

Ich glaube, das würde ich nur aus zwei Gründen tun: Wenn mir etwas Tolles über den Weg läuft oder ich beeindruckende Menschen treffe, bei denen ich denke, das könnte eine gute Verbindung sein. Da könnte ich mich melden und sagen: Schaut euch das doch mal an. Nur als Tipp. Oder ich würde mich melden, wenn ich hörte, dass sich jemand unwohl fühlt. Dann würde ich bei Gelegenheit das Gespräch suchen. Aber nicht im Sinne von Einmischen, sondern als Hinweis.

Gibt es ein Motto, das Sie Ihren Kolleginnen und Kollegen mit auf den Weg geben möchten?

Ein befreundeter Träger hat den Satz: „Im Mittelpunkt der Mensch!“ Ich glaube, das ist eine zentrale Botschaft. Wir haben im Unionhilfswerk immer versucht, allen zu vermitteln, dass wir soziale Arbeit auf Dauer nur schaffen, wenn wir strenge Qualitätsmaßstäbe haben und wirtschaftlich denken. Aber trotzdem: Im Mittelpunkt steht der Mensch – sei es das Kita-Kind, der Erwachsene mit Handicap, die pflegebedürftigen Menschen oder unsere Mitarbeitenden. Das heißt nicht, dass wir nicht auch Anforderungen stellen, ehrgeizig sind oder uns kritisch miteinander auseinandersetzen. Wir wollen aber vor allem immer menschlich sein und bleiben.